"Carmen hat ihn verführt"

Source: Bunte, 19 (5 May 1988): 186-7


thumbnail of Carmen scan Click on the thumbnail image to view a scan of the original text.


Carmen hat ihn verführt

BUNTE fragte Baron Heinrich von Thyssen, warum er seine sagenhafte Gemäldesammlung nicht in Deutschland läßt.

England, 140 Kilometer nördlich von London.  Ein prächtiger, elektronisch bewachter Park rund um das Landschloß Daylesford.  Hier residiert Hans Heinrich von Thyssen-Bornemisza (67).  100 Meter vor dem Haus:  Sicherheitsbeamte.  Am Eingang ein spanischer Butler:  "Good Morning, Madam, folgen Sie mir, bitte."  Acht Salons.  Kristall-Leuchter, seidene Jalousien, Blumen.  Und Bilder.  Überall.  Picasso, Gaugin, Turner.
     Plötzlich steht der Herr dieser Schätze vor mir.  Sportliche Haltung, schlank, schwarzes Haar (gefärbt?), manikürte Hände.  Seine Garderobe stellt der Kammerdiener zusammen.  Er spielt unentwegt mit seiner Brille.  Sein erster Satz: "Als wir noch arm waren, lautete das Famillienmotto 'Tugend übertrifft Reichtum.'  Aber ich halte es mit Opa, der sagte:  'Roste ich, so raste ich.'"
     Warum also gab er seine Privat-Pinakothek nach Madrid?  (Wert: zwei Milliarden Mark.)  Aus Liebe zu seiner Ehefrau Nr. 5 -- Carmen Cervera, sie ist Spanierin, eine Ex-Schönheitskönigin, 23 Jahre jünger.  Er nennt sie Tita.
     Wo ist Tita?  In Spanien.  Auf Wohnungssuche.  Hat sie ihn an seinem Geburtstag allein gelassen?  "Sie schickte einen Teddybären, der spricht.  Wenn ich ŒGute Nacht‚ sage, antwortet er."
 Das Telefon klingelt:  "Wir sollen zum Essen kommen."  Pompöser Speisesaal:  silberne Wappenteller, handgestickte Sets, China-Prozellan.  Der Butler trägt auf.  Geschnetzelte Leber, Kartoffelpüree, Käse, Obstsalat.
     Wie ist es, reich zu sein (Jahresumsatz des Thyssen-Imperiums:  3,4 Milliarden Mark)?  "Komisch, die Leuteglauben, daß ich intelligenter bin als sie."  Er schaut sich um, fragt mich, eine Fremde: "Habe ich ein Grammofon?"  Ich nicke.  "Na, dann wollen wir jetzt die Platte spielen."  Einige Zigeunerlieder, die ich ihm mitgebracht hatte.
     Er hört zu, trinkt Weißwein, versinkt in Erinnerungen.  Mein Glas ist leer.  "Komm her . . . ," sagt er.  Gießt eine Hälfte seines Weins aus seinem Glas in meines, steht auf, tanzt Csárdás:  Plötzlich schüttelt er den Kopf: "Singen kann ich nicht, tanzen auch nicht -- ich bin langweilig."
     Ein Stimmungstief.  Er (Sternzeichen Widder) bewältigt es mit Action.  Hausbesichtigung im Sauseschritt.  Luxus.  Und immer wieder Bilder. Auf der Dachterasse bleibt er stehen.  "Wissen Sie, wo Transsylvanien liegt?!"  Ja, in Rumänien.  Draculas Heimat.  Er lacht, zeigt seine schiefen Zähne;  "Die Heimat der Bornemiszas!"  Ein Mann voller Sehnsucht nach alten Zeiten, nach dem frühen Industriezeitalter, wo eine gewagte Banktransaktion noch einem Duell glich:  "Heute besitzen die Macht namenlose Manager, keine Männer, keine Familien."
     Was er auf eine leere Insel mitnehmen würder?  Die Bibel, Tita, Bilder?  " . . . Nein!  Die könnten doch kaputt gehen!"  Was liebt er nun mehr, Frauen oder Bilder?  "Frauen sind so unberechenbar . . . "  Bilder kauft er immer noch, für 7 bis 8 Millionen jährlich, meistens alte Meister, moderne Kunst mag er nicht  ("Beuys?  Furchtbar!").    Er denkt nach: "Die Kunst ist ein schlechtes Geschäft.  Bilder bringen keine Dividenden."  Er muß sie lieben.

-Dana Hordkovd