Ein Mann kommt nach Deutschland . . . Er war lange weg, der Mann.  Sehr lange.  Vielleicht zu lange.  Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging.  Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken.  Innerlich -- auch.  Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet.  Und als Eintrittsgeld mußte er mit seiner Kniescheibe bezahlen.  Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.


VORSPIEL

(Der Wind stöhnt.  Die Elbe schwappt gegen die Pontons.  Es ist Abend.  Der Beerdigungsunternehmer.  Gegen den Abendhimmel die Silhouette eines Menschen.)

DER BEERDIGUNGSUNTERNEHMER (Rülpst mehrere Male und sagt dabei jedesmal):  Aha, da steht einer.  Da auf dem Ponton.  Sieht aus, als ob er Uniform anhat.  Ja, einen alten Soldatenmantel hat er an.  Steht gefährlich dicht am Wasser.  Steht ziemlich allein da.  Ein Liebespaar kann es nicht sein, das sind immer zwei.  Ein Dichter ist es auch nicht.  Dichter haben längere Haare.  Aber dieser hier auf dem Ponton hat eine Bürste auf dem Kopf.

(Es gluckst einmal schwer und dunkel auf.  Die Silhouette ist verschwunden.)

Da!  Weg ist er.  Reingesprungen.  Stand zu dicht am Wasser.  Hat ihn wohl untergekriegt.  Und jetzt ist er weg.  Ein Mensch stirbt.  Und?  Nichts weiter.


TRAUM

(In der Elbe.  Eintöniges Klatschen kleiner Wellen.  Die Elbe.  Beckmann.)

BECKMANN: Wo bin ich?  Mein Gott, wo bin ich denn hier?

ELBE: In der Elbe!

BECKMANN: Wo?

ELBE: Bei mir.

BECKMANN: Und wer bist du?

ELBE: Wer soll ich denn sein, du Küken, wenn du in St. Pauli von den Landungsbrücken ins Wasser springst?

BECKMANN: Die Elbe?

ELBE: Ja, die.  Die Elbe.

BECKMANN: (Staunt) Du bist die Elbe!

ELBE: Ah, da reißt du deine Kinderaugen auf, wie?  Du hast wohl gedacht, ich wäre ein romanitsches junges Mädchen mit blaßgrünem Teint?  Typ Ophelia mit Wasserrosen im aufgelösten Haar?  Du hast am Ende gedacht, du könntest in meinen süßduftenden Lilienarmen die Ewigkeit verbringen.  Nee, mein Sohn, das war ein Irrtum von dir.  Ich bin weder romantisch noch süßduftend.  Ein anständiger Fluß stinkt.  Jawohl.  Nach Öl und Fisch.  Was willst du hier?

BECKMANN: Pennen.  Da oben halte ich das nicht mehr aus.  Das mache ich nicht mehr mit.  Pennen will ich.  Tot sein.  Mein ganzes Leben lang tot sein.

ELBE: Du willst auskneifen, du Grünschnabel, was?  Du glaubst, du kannst das nicht mehr aushalten, hm?  Was kannst du denn nicht mehr, du Greis?

BECKMANN: Alles, alles kann ich nicht mehr da oben.  Ich kann nicht mehr hungern.  Ich kann nicht mehr humpeln und vor meinem Bett stehen und wieder aus dem Haus raushumpeln, weil das Bett besetzt ist.

ELBE: Nein.  Du Rotznase von einem Selbstmörder.  Nein, hörst du!  Glaubst du etwa, weil deine Frau nicht mehr mit dir spielen will, weil du hinken mußt und weil dein Bauch knurrt, deswegen kannst du hier bei mir untern Rock kriechen?  Einfach so ins Wasser jumpen?  Du, wenn alle, die Hunger haben, sich ersaufen wollten, dann würde die gute alte Erde kahl wie die Glatze eines Möbelpackers werden, kahl und blank.  Nee, gibt es nicht, mein Junge.  Auch wenn du sechs Jahre Soldat warst.  Alle waren das.  Und die hinken alle irgendwo.  Such dir ein anderes Bett, wenn deins besetzt ist.  Ich will dein armseliges bißchen Leben nicht.  Du bist mir zu wenig, mein Junge.  Laß dir das von einer alten Frau sagen: Lebe erst mal.  Laß dich treten.  Tritt wieder!  (Laut) Hallo Jungens!  Werft diesen Kleinen hier bei Blankenese wieder auf den Sand!  Er will es nochmal versuchen, hat er mir eben versprochen.  Aber sachte, er sagt, er hat ein schlimmes Bein, der Lausebengel, der grüne!


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